Tag 1
Das Kästchen
Auf mysteriöse Art und Weise hat sich ein Kosmos Experimentierkasten zu Kristallen in meinen Besitz verirrt.
Kasten ist etwas hochtrabend formuliert. Circa 37 dieser Kästen würden eine Schuhschachtel füllen; ich würde dem Ding somit höchstens ein “Kästchen” zugestehen.
Unabhängig von der Größe ist das Experimentierkästchen allerdings primär zum Experimentieren da. Es bietet nicht nur ein geniales Experiment sondern, nicht zwei geniale Experimente sondern… oh, doch, zwei.
Also zwei geniale Experimente. Die Chemikalie!
Das erste davon ist Kristalle züchten. Dafür kann man schon mal eine Mittagspause verballern. Verschönert ja auch den Arbeitsplatz. Das war der Plan.
Um genau zu sein war der Plan laut Anleitung (beliegend, mit Sicherheitshinweisen, diese größtenteils ignoriert):
- Die kristallbildende Chemikalie (Kaliumaluminiumsulfat sagt die Beschreibung) in ein Gefäß kippen, Wasser aufgießen
- Das ganze in kochendes Wasser stellen
- Warten bis sich das Salz aufgelöst hat
- Das Gefäß dann auf die Fensterbank stellen
Hört sich einfach an, also frisch ans Werk. Erstmal das gute Rundrandglas 100 von Weck aus dem Schrank geholt, das fasst dann doch immerhin einen ganzen Liter. Danach die Schutzbrille nicht aufgezogen, ich verlasse mich auf meine bereits vorhandene und erprobte Brille. Als nächstes also das Salz (ich habs nicht probiert ob es schmeckt obwohl noch ein hartgekochtes Ei im Kühlschrank war) hinein kippen. Die Tüte ist aus hoch stabilem Plastik und nach einer halben Minute unbeholfenen und erfolglosen Versuchen das Ding aufzureißen tauchten in meinem Kopf Bilder von kreuz und quer umherfliegenden, vermutlich höchstgradig tödlichen (Sicherheitshinweise nicht gelesen) und/oder schleimhautreizenden Chemikalien musste ein besser Plan her. Eine Tüte aus hochstabilem Plastik mit einem rostigen Teppichmesser zu öffnen ist nur ein unwesentlich besserer Plan, allerdings effektiv.
Blau / Grün
Also Inhalt der Tüte in das Weckglas gekippt. Darauf kommen 70ml Wasser. Laut Anleitung sind das drei volle Ladungen des 25ml fassenden, beiliegenden Minimessbechers/Schnapsglases. Um die 5ml zu viel kümmert sich meine zitternde Hand. Bei einem Wasserstand von nun circa 3cm bin ich froh, das große Glas gewählt zu haben.
Topf danach einfach in den Geschirrspüler
Um das Salz nun vollständig aufzulösen muss das ganze erhitzt werden. Im Gegensatz zu modernen Fertigpizzaschachteln erwähnt die Anleitung keine Option alles in die Mikrowelle zu werfen. Und Induktionsplatten erwärmen auch klein Glas. Also das Glas ab in einen Topf mit kochendem Wasser aus dem Wasserkocher.
Vermutlich doch grün.
Warten, schwenken, warten, schwenken, kochendes Wasser wechseln, schwenken, warten, doch nochmal Kaffee machen, vorher lieber die Hände waschen, Kaffee trinken, schwenken. Fertig gelöst. Das war ja einfach! Yay!
Im Weckglas befindet sich nun ungefähr 70ml einer klaren Flüssigkeit. Das ist ungefähr ein Drittel eine Capri-Sonne. (Es ist immer hilfreich wenn die Leser einen Bezugspunkt zu so schwer vorstellbaren Maßangaben bekommen.) Um bunte Kristalle zu erhalten hat Kosmos Farbe beigelegt. In unserem Fall “blau”
Ich bin mir nicht ganz sicher und als man auch nicht sonderlich versiert im Umgang mit Farben, aber ich würde das als grün bezeichnen. (Viele andere Kulturen übrigens nicht, siehe Wikipedia ) Gut, vielleicht ist das wie beim Eier färben, da sieht die gelbe Farbe auch aus wie orange, orange wie rot, rot wie lila und lila wie schwarz. Ich hoffe mal auf blau.
Nun steht das ganze also auf der Heizung. Deckel offen und wir warten auf Kristalle. Laut Anleitung soll in nur einigen Stunden was passieren.
Oh Mann, die Spannung bringt mich um. Ob ich vor Aufregung das Wochenende überstehe?
Und ja, das sind DR-DOS-Disketten.